Erst
sehr spät floh die Familie Fruchter 1941 von Wien über
Berlin, das besetzte Polen, die Sowjetunion und Mandschukuo in das von
Kriegs- und Kolonialkonflikten erschütterte Shanghai. Die Stadt
hatte bis dahin bereits rund 18.000 meist jüdische
NS-Flüchtlinge aufgenommen, darunter überdurchschnittlich
viele Musiker. Trotz aller Härten bot das Shanghaier Musikleben
ein breites Spektrum an Betätigungsfeldern.
Paula Fruchter (1896–1983; Sprecherzieherin, Pianistin), ihr Mann
Josef (1900–1976; Sänger, Gesangslehrer, Kantor) und ihre
Tochter Frieda (1933–2020) arrangierten sich. Er machte sich
begleitet von seiner Frau als Konzertsänger und später als
Kantor einen Namen. Privat und am Shanghaier Konservatorium gaben sie
gemeinsam Gesangsunterricht. 1949 emigrierten sie nach Israel, kehrten
jedoch bald nach Wien zurück. Dort wurde Josef Fruchter wieder
Chorsänger der Kultusgemeinde und der Wiener Staatsoper.
Musikgeschichtlich bemerkenswert ist, dass die Fruchters zwischen 1941
und 1949 regelmäßig Briefe an ihre Familie und Freunde in
Wien schickten. Anders als Konzertprogramme und Kritiken reflektieren
sie sozialgeschichtliche Aspekte des Musiklebens in der Extremsituation
Shanghais, binden sie doch emotionale Befindlichkeiten, Privatansichten
und Alltagsmomente ein – gerichtet an Adressaten in Wien, die
ihrerseits in Angst vor Verfolgung, Deportation und Krieg lebten.
Korrespondenz aus Shanghai, an der sich exilspezifische Kommunikation
aufzeigen lässt, ist selten. Die vorliegende Edition macht die
Briefe der Fruchters erstmals zugänglich. Von der
Musikhistorikerin Sophie Fetthauer mit kritischem Blick, u. a. auf
Aspekte der Zensur und Selbstzensur, ediert sowie biographisch und
zeitgeschichtlich eingeordnet, stellen sie ein wichtiges alltags- und
sozialgeschichtliches Dokument zum Musikleben im Exil dar.
Von Sophie Fetthauer erschien ebenfalls zum
Flucht- und Exilort Shanghai für Musikerinnen und Musiker:
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Weitere lieferbare Titel
von Sophie Fetthauer im von Bockel Verlag: