Mathias Lehmann:
Der Dreißigjährige Krieg
im
Musiktheater während der NS-Zeit.
Untersuchungen zu politischen Aspekten der
Musik am Beispiel von
Karl Amadeus Hartmanns "Des Simplicius Simplicissimus
Jugend",
Ludwig Mauricks "Simplicius Simplicissimus",
Richard Mohaupts "Die
Gaunerstreiche der Courasche",
Eberhard Wolfgang Möllers und Hans Joachim
Sobanskis "Das Frankenburger Würfelspiel"
und Joseph Gregors und Richard
Strauss' "Friedenstag".
ISBN 978-3-932696-55-8,
Hardcover, Hamburg 2004, 384
Seiten, 48,00 Euro
(=Musik im "Dritten Reich" u. im Exil, Bd. 11)
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Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) ist als geschichtliches Ereignis für das
politische Selbstverständnis des NS-Staates von weitaus größerer Bedeutung, als
heute gemeinhin bekannt. In der ersten Zeit des Zweiten Weltkrieges wurde von
den Nazis sogar mit Münster einer der Orte des Westfälischen Friedens als Ort
für die Friedensverhandlungen nach dem erhofften Sieg über Frankreich avisiert
und nicht etwa Versailles. Der von den Nazis geführte Krieg wurde nicht zuletzt
als Wiedergutmachung für den Dreißigjährigen Krieg verstanden und als
"Liquidation des Westfälischen Friedens", wie es in mehreren Tagebucheinträgen
von Joseph Goebbels vermerkt ist.
Die Bedeutung des Dreißigjährigen Krieges
für die NS-Ideologie spiegelt sich auch in der künstlerischen Motivwahl wieder.
In keiner Zeit gab es so viele Adaptionen von Stoffen aus dem Dreißigjährigen
Krieg für das Musiktheater - und auch anderer künstlerischer Gattungen - wie zur
NS-Zeit. Fünf in Deutschland zwischen 1933 und 1938 komponierte
Musiktheaterwerke stehen im Zentrum des vorliegenden Buches, anhand derer der
Hamburger Musikwissenschaftler Mathias Lehmann dieses Phänomen
analysiert.
Diese Musiktheaterwerke brachten durchaus unterschiedliche
politische Positionen zum Ausdruck: Eberhard Wolfgang Möllers Thingspiel Das
Frankenburger Würfelspiel sowie Ludwig Mauricks Oper Simplicius
Simplicissimus stehen eindeutig innerhalb der NS-Ideologie, wogegen Karl
Amadeus Hartmanns Oper Des Simplicius Simplicissimus Jugend als dezidiert
antifaschistisches Werk zu verstehen ist. Richard Mohaupts Ballett Die
Gaunerstreiche der Courasche und Richard Strauss’ Oper Friedenstag
sind in ihrer politischen Ausrichtung ambivalenter und machen in
unterschiedlichem Umfang Konzessionen an das NS-Regime und seine
Ideologie.
In einem ersten historisch-beschreibenden Teil hat der Autor die
ideologischen Rahmenbedingungen beschrieben, zu denen sich die jeweiligen
Musiktheaterwerke positionieren. Im zweiten analytisch-interpretatorischen Teil
wurden die fünf im Zentrum der Arbeit stehenden Werke in Bezug auf ihren
politischen Gehalt und die durch sie tradierten Gesellschaftsbilder hin
vergleichend analysiert. Dabei ist es dem Autor gelungen, nicht nur die
politischen Aussagen der jeweiligen Werke und ihre Positionierung zur
NS-Ideologie analytisch zu bestimmen, sondern auch übergeordnete Schemata und
Methoden zur Politisierung eines musikalischen Textes, sei es im Sinne der
NS-Ideologie, oder sei es gegen diese gerichtet, erkennbar zu machen.
Gleichzeitig stellt die Arbeit einen ersten Schritt in Richtung einer
angemessenen Beschreibung und Interpretation der bis heute stark unterschätzten
Bedeutung des "Dreißigjährigen Krieges" für die NS-Zeit und die Ideologie und
Propaganda der NS-Führung dar.