Allein
für das Erscheinungsjahr des Buchs, 1922, verzeichnet eine
Statistik 499 rechtskräftige Verurteilungen wegen
„Vergehen“ gegen den § 175 des StGBs – Tendenz
von Jahr zu Jahr steigend. 1925 sind es 1107. Über die NS-Zeit
hinweg (1938: 8562) und Zeit der jungen Bundesrepublik (bsp. 1959
– 3804) bewies der Paragraph traurige Kontinuität.
Der
Schriftsteller, bekannte Weltbühne-Autor und promovierte Jurist
Kurt Hiller (1885-1972) setzte 1922 mit seinem
„Schmach-Buch“ ein Zeichen, – in dem er etliche Tabus
brach und mit Vorurteilen aufräumte. In dem Buch fordert er nicht
nur die Abschaffung des § 175 StGB, sondern tritt für ein
selbstbestimmtes Sexualleben eines jeden Menschen ein. Homosexuelle
rief er dazu auf, selbstbewusst für die eigenen Menschenrechte
einzutreten: „Die oberste Aufgabe der Homosexuellen unseres
Landes lautet heute und lautet morgen: zu kämpfen.” Und:
„taktisch falsch ist, Mitleid einzuflößen. Man
muß nicht winseln, man muß protestieren. Man muß
nicht betteln, man muß fordern. Wehmütig-demütige
Selbstdenunziation eines leider pathologischen Geschöpfs (dies der
ältere, ‚humanitäre‘ Standpunkt) führt
günstigstenfalls zu dem Resultat, daß ein paar tolerante
Geheimräte das Gefängnis durch das Irrenhaus zu ersetzen
vorschlagen.“
Kapitel-Überschriften des Hillerschen Buchs von 1922:
I. Vorrede; II.
Homosexualismus und erster Deutscher Vorentwurf; III. Statt dessen
verdienen die Feuilletonisten; IV. Ethische Aufgaben der Homosexuellen;
V. Sexualfreiheit und Proporz; VI. Befreiung durchs Parlament; VII.
Volksentscheid? VIII. Schutz auch den Prostituierten! IX.
Rücksicht auf die Reaktion? X. Offene Erwiderung an den Doktor der
Medizin S.; XI. Zum Fall Wyneken; XII. Zu Wyneken’s Buch
„Eros“; XIII. Recht und sexuelle Minderheiten; XIV. Anhang:
Die Petition; XV. Nachwort aus der Höhe
Als Hiller das
Buch 1922 in einer Auflage von 5000 Exemplaren veröffentlichte,
wagte zwar keiner, es zu besprechen. Der „beschwiegene“
Band war aber sofort vergriffen. Jetzt, 100 Jahre nach dem
Ersterscheinen, wird er mit einem Reprint gewürdigt.
Die Neuausgabe enthält ergänzende Materialien – eine
Auswahl entlegener Hiller-Texte, die nach 1922 erschienen – und
den kompletten Text der Schrift „Der Strafgesetzskandal“,
die der produktiv schreibende Zeitkritiker 1928 vorgelegt hatte.
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