Unter
dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, der alle gesellschaftlichen Kreise
umfassenden Kriegseuphorie im Sommer 1914 und der antiquierten
Politikkonventionen des kaiserlichen Deutschlands gelangte Kurt Hiller
(1885–1972) ab 1915 von der literarischen
„Schöngeisterei“ zum politischen
„Aktivismus“ (so seine eigene Standortbestimmung).
„Geist“ definierte er nicht als bloßen
Intellektualismus, sondern als Inbegriff humanitärer
Verantwortung. Habe das Leben einen Sinn, „kann das nur der sein:
das Los der Menschheit nach Kräften zu bessern.“ 1915
schrieb Hiller: „Da alle bisherige Erfahrung zeigt, daß die
Verwalter der Nationen auf das bloße Wort des Geistes nicht
hören, müssen die geistigen Menschen selbst die Verwaltung
der Erde in die Hand nehmen.“
„Verwirklichung des Geistes im Staat“ umschreibt den
uralten Traum, den Geist in den Stand der Macht zu setzen. „Die
Philosophen sollen Könige sein, oder die Könige
Philosophen“; diese Forderung Platons griff Hiller auf. Das
„Volk“ in seinem empirischen Ganzen war für Hiller
„die Gesamtheit der Mittelmäßigen“. Entsprechend
würden sich die Parlamente als „Tummelplätze der
Mittelmäßigkeit“ erweisen. Der numerisch ermittelte
Durchschnitt an Auffassungen regiere. Nicht die „Besten“
erarbeiten das Optimum des Politikprozesses.
Entsprechend optierte Kurt Hiller für ein Zweikammer-System, das
in der Verfassung festgeschrieben werden sollte. Neben der in freien
Wahlen konstituierten „Volkskammer“ solle eine
„Kammer der Geistigen“ zur Legislative dazugestellt werden.
Hiller entwarf das Modell einer – wie er selbst formulierte
– „Logokratie“. Sein Verfassungsentwurf war kein
geschlossenes System. Selbstkritisch musste auch er eingestehen, dass
die Frage (noch) offen bleiben müsse, wie sich denn die
„Geistigen“ zu eben jener „Kammer“
konstituieren.
1925 erschien das Buch „Verwirklichung des Geistes im
Staat“, in dem zentrale, seit Kriegszeiten entstandene
Aufsätze von Hiller zur „Geistigen-Herrschaft“ vereint
sind. Daneben enthält es grundlegende Arbeiten Hillers zu seinem
Pazifismus-Verständnis.
Lange war das Buch des erfolgreichen
„Weltbühne“-Autors schwer zugänglich. Die Nazis
hatten es aus Bibliotheken verbannt. Restauflagen waren vernichtet
worden. Der jetzt vorliegende Nachdruck enthält eine
Einführung Harald Lützenkirchens, des
Kurt-Hiller-Nachlass-Verwalters, zur Geschichte des Buchs.
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