„Das
Jahr 1944 schenkte uns Anfangshauche von Glücksgefühl“,
schrieb Hiller in seinen Memoiren angesichts der militärischen
Erfolge alliierter Truppen auf dem europäischen Kontinent. Es
stellte sich zunehmend die Frage nach der zukünftigen
Ausgestaltung eines von den Nazi-Rudimenten befreiten Deutschlands
– auch bei Londoner Exilanten. Die Etablierung einer Demokratie
als Staatsform galt dabei in weiten Kreisen als ausgemachtes Ziel.
Hiller zweifelte an dieser Vorstellung: „Wenn jemals die
Geschichte ein Beispiel geliefert hat für die Inkompetenz von
Massenmehrheiten, dann hat die neuere deutsche Geschichte es geliefert.
Sie hat gezeigt, wie, nach dem Versagen der Republikaner und der
Gemäßigten (...), es möglich war für den Nazismus,
der reaktionärsten, barbarischsten, dümmsten aller
politischen Doktrinen, (...) sich eine relative Mehrheit (wenngleich
keine absolute) ungeahnten Ausmaßes in der Geschichte des
deutschen Parlamentarismus zu verschaffen, mit all den bekannten
furchtbaren Konsequenzen für die Nation und die Menschheit.“
Der Weg der Nazis zur Herrschaft im Staat bestätigte Hiller einmal
mehr in seiner Forderung nach einer „Herrschaft der
Geistigen“, wie er sie als Staats-Utopie unter dem Eindruck des
Ersten Weltkriegs bereits entwickelt hatte.
Im Umkreis von Hiller entstand der von ihm im Mai 1945 herausgegebene
Sammelband „After Nazism – Democracy?“, in dem vier
politisch unterschiedliche, aber auch sich ergänzende
Beiträge von vier Exilanten vereint sind. Hiller knüpft dort
mit seiner Abhandlung „The Problem of Constitution“ an die
Schriften zu seinem Buch von 1925, „Verwirklichung des Geistes im
Staat“, an.
„The Problem of Constitution“ liegt hiermit erstmals in
einer deutschen Fassung in der Übersetzung Harald
Lützenkirchens vor. Der profunde Hiller-Forscher beschreibt in
einer Einleitung den Stellenwert der bisher wenig beachteten und schwer
zugänglichen Schrift in der Weltanschauung Kurt Hillers.
In 17 Kapiteln spannt Hiller den Bogen von Platons Idee einer
Herrschaft der Philosophen bis zu dem – nach seiner Auffassung
– als volksfreundlich missverstandenen Mehrheitsprinzip der
Demokratie. Wie schon in dem Buch von 1925 plädiert Hiller
für eine Kammer der Geistigen, die neben dem vom Volk
gewählten Parlament als qualitatives Korrektiv fungieren soll.
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